Ich wollte Einsamkeit. Es gibt nur wenige Regionen in Europa, die so wenig bevölkert sind, wie die Westfjorde von Island. An diesem Freitag sollte es nun endlich soweit sein. Die Reise Richtung Westfjorde sollte beginnen. Die letzten Tage hatte ich bereits auf der Halbinsel Snæfellsnes verbracht. Die Gegend per Anhalter kennengelernt und durch Zufall an einem regnerischen Tag in Stykkisholmur auch Hannah kennengelernt, die für die nächsten zehn Tage meine Reisebegleitung werden sollte. Nun lag einer der anstrengendsten Abschnitte vor mir: 400 Kilometer per Anhalter in die verschlafenste Region Islands. Gleich eine unserer ersten Mitfahrten war eine Polizistin, die ich am Abend zuvor bereits in der Tankstelle in Olafsvik gesehen hatte. Sie nahm uns mit. Sie setzte uns an einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Snæfellsnes ab: dem Kirkjufell. Der Berg hat die Form einer Kirche und heißt deshalb auch Kirchberg auf Isländisch. Und in der Tat ist der Berg eine Offenbarung, wie er sich so einzeln Richtung Himmel empor hebt.

Der Kirkjufell hat die Form einer Kirche, finden die Isländer. Daher sein Name.
Der Kirkjufell hat die Form einer Kirche, finden die Isländer. Daher sein Name.

Geld gespart und Freunde gewonnen

Da ich ungern 60 Euro für die Fähre von Stykkisholmur in die Westfjorde zahlen wollte und Hannah zuvor schon mit der Fähre auf der Insel Flatey war, sind wir letzten Endes doch um den kompletten Breiðafjörður getrampt, der Snæfellsnes von den Westfjorden trennt. Mein Ziel des Tages war Látrabjarg, das eigentlich auch das wichtigste Ziel des Ausfluges in die Westfjorde sein sollte. Warum, dazu später mehr. Hier trafen wir wieder unglaublich nette Leute, wie an den vorherigen Tagen schon. Greg und Marion aus Frankreich nahmen uns mit, machten mit uns sogar Sightseeing, schließlich waren sie auch nur zu Besuch in Island. Wir sprachen über ihr Leben in Frankreich und vor allem über Musik. Ich glaube ich werde doch bald wieder nach Frankreich müssen. Mir fehlt Frankreich.

Danach folgten noch der Sohn eines Farmers, der uns in der Nähe von Búðardalur absetzte. Unsere längste Fahrt des Tages war dann aber Leifur. Der junge Banker aus Reykjavik hat Großeltern in Þingeyri (gesprochen Thingeyri), im Norden der Westfjorde. Auch er hielt für uns immer wieder an, wenn sich wieder die beeindruckende Fjordlandschaft auftat. Die Menschen hier sind unheimlich stolz auf Island – und das zu recht. Selten habe ich so viele beeindruckende Landschaften so nah beieinander gesehen.

Manchmal ist es besser umzukehren

Die Kreuzung des Hasses, des Todes, Verfluchte Kreuzung, Deine-Mutter-Kreuzung, Kreuzung aus der Hölle, Kreuzung der Fliegen - an unseren drei Zwischenhalten hier fanden wir viele Namen für die Abzweigung nach Latrabjarg.
Die Kreuzung des Hasses, des Todes, Verfluchte Kreuzung, Deine-Mutter-Kreuzung, Kreuzung aus der Hölle, Kreuzung der Fliegen – an unseren drei Zwischenhalten hier fanden wir viele Namen für die Abzweigung nach Latrabjarg.

Leifur setzte uns an einer Kreuzung ab, an der es nur ein Hotel und Restaurant gab. Nach 20 Minuten nahm uns eine Lehrerin aus Reykjavik mit, die zu einem Geburtstag nach Patreksfjörður wollte. Sie erzählte uns viele Geschichten, wie auch schon Leifur. Von ihr wurden wir auch auf eine Sagenstatue in den Bergen der Westfjorde hingewiesen. So muss man das Männlein grüßen, wenn man vorbeifährt. Es soll Glück auf Reisen bringen. Das taten wir auch und winkten ihm freundlich zu.

Gegen 22 Uhr standen wir nun aber an der Kreuzung Richtung Látrabjarg an einem wunderschönen Fjord mit kristallblauem Wasser. Aber das schöne Abendlicht brachte auch so gut wie keinen Verkehr. Die wenigen Autos die kamen, fuhren weiter in das nahe Patreksfjörður. Nach elf Stunden Trampen und nun wieder einer Stunde ergebnislosen Wartens und wenig Essen, plagten uns zudem noch ein Schwarm kleiner schwarzer Fliegen, der scheinbar in den Wassergräben neben der Straße brütete. Die fiesen Biester schwärmten besonders um den Kopf, wollten Richtung Auge und Ohr. Jeder Autofahrer, der vorbeifuhr, muss gedacht haben, dass wir uns wohl ein paar Wochen nicht gewaschen haben. Der einzige Weg den lästigen Biestern zu entrinnen, war zu Laufen. Doch mit den Rucksäcken nach der anstrengenden Fahrt, hatten wir kaum noch Kraft. Schließlich ließ ich mich von Hannah überreden, einfach das nächste Auto, notfalls auch in eine andere Richtung zu nehmen. Hauptsache weg von hier. Nach kurzer Zeit kam dann auch endlich ein Jeep in die andere Richtung und hielt an. Das Ehepaar darin nahm uns mit. Wir waren erschöpft und dankbar.

Die Kreuzung lag direkt im Patreksfjörður, der zu den schönsten der Westfjorde gehört - aber auch zu denen mit dem geringsten Verkehr und den meisten Fliegen.
Die Kreuzung lag direkt im Patreksfjörður, der zu den schönsten der Westfjorde gehört – aber auch zu denen mit dem geringsten Verkehr und den meisten Fliegen.

Nacht in einem alten isländischen Farmhaus

Wie sich herausstellte, fuhren Marino und Freyja nach Tálknafjörður, rund 30 Kilometer auf der eigentlichen Straße weiter. Wir beschlossen Látrabjarg auf den nächsten Tag zu verschieben. Als wir Marino und Freyja von unserer Odyssee erzählten, weckten wir wohl auch ihr Mitleid. Die beiden boten uns einen Platz in ihrem Gästehaus an. Ihre Farm hatten sie erst sechs Jahre zuvor gekauft – von alten Bauern, die die Farm schon lange besaßen. Wie auch im Mansfelder Land, wo ich herkomme, gehen auch hier die jungen Leute vom Land in die großen Städte und ins Ausland. Viele Farmen verwaisen. Doch einige Höfe haben Glück und finden neue Besitzer, die ihrerseits ihr Glück neu gefunden haben.

Marino und Freyja waren zuvor jeweils schon einmal verheiratet, in Island nicht unüblich. Nun wohnen sie mit einigen der Kinder auf dem Gelände und bauen sich ihre neue Existenz auf. Auch eine Fischfarm für Regenbogenforellen gehört dazu. Oberhalb der Farm gibt es eine Klippe. Sie bekommen ihr Wasser direkt aus den Bergen dahinter. Es fließt neben der Farm ein kleiner Bach hinunter. Hier in Island trinkt man auch einfach aus den Flüssen, weil die so sauber sind. Auch ich habe das bei meiner Wanderung zum Glymur getan.  Neben dem Bach steht das neue Haus der Farmer und das alte Farmhaus der Vorbesitzer. Es fungiert auch als Gästehaus. Als wir es betreten, machen wir eine Zeitreise durch die Jahrzehnte bis vermutlich in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. An der Wand hängt ein uraltes Telefon. Der Ofen ist rustikal. Nur die Heizung ist nicht ganz so alt, wird aber scheinbar durch eine heiße Quelle gespeist und ist deswegen verdammt heiß. Drinnen ist es bullig warm. Wir reißen die Fenster auf und lassen den Tag auf den Stufen der alten Vordertür Revue passieren. Trampen ist eben immer wieder ein Abenteuer.

Posted by Peter Althaus

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2 Comments

  1. Mel (worldwhisperer) Juli 12, 2015 at 12:12

    Die Westfjorde sind ein ganz besonderer Teil Islands.
    Ich habe sie zwar damals nur im Regen kennengelernt, habe aber trotzdem brav die Nächte im Zelt auf Zeltplätzen verbracht. Es war ein toller Erlebnis. Danke für deinen Bericht – der weckt Erinnerungen.

    LG
    Mel

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  2. Verena (Underwaygs) Juli 12, 2015 at 19:08

    Hey Peter,

    ich war Ende Mai diesen Jahres in den Westfjorden unterwegs, allerdings mit dem Auto… es ist wirklich wunderschön und sehr einsam :)!

    VG
    Verena

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