Die Menschen in Zemaitija gehörten zu den letzten Heiden Europas. Heute sind sie zum Teil die treusten Christen. Dabei vermischen besonders die Holzkünstler in Litauen die heidnische Folklore mit christlichen Ritualen. Auch ich habe mir eine Karnevalsmaske gekauft – beim wahrscheinlich besten Holzkünstler Litauens. Das war allerdings nicht ganz einfach.
Wild gestikulierend stehe ich vor Kasys Striupa und versuche noch ein paar mehr Brocken Litauisch aus mir rauszupressen. Zuvor hatte ich mich schon gefreut so viel Litauisch verstanden zu haben. Die Sprache habe ich, soweit man das eben in einem Jahr schaffen kann, bei einem Auslandsaufenthalt während des Studiums gelernt. Bereits auf dem Schiff hatte ich mich wieder darin geübt. Dann bei den Verhandlungen zum Schlafplatz und bei der Essensbestellung im Restaurant.
Das alles scheint vergessen. Der alte Mann schaut mich nur mit großen Augen an. “Das ist ganz normal”, wird mir Ausra Brazdeikyte später erzählen. Die Mitarbeiterin der Touristeninformation für den Nationalpark Zemaitija (zu Deutsch auch Samogitien oder Niederlitauen genannt) hatte mich zuvor hierher geschickt. Die Holzschnitzereien sind etwas typisch Litauisches und die Samogiten haben sie perfektioniert. Kasys Striupa gilt als einer der Besten in ganz Litauen.
Der Zemaitijer lebt in einem Bauernhaus in dem kleinen Örtchen Dovainiai in der Nähe von Plateliai. Neben dem eigentlichen Haus steht die Werkstatt des Mannes. Das Gebäude mit einem alten Reetdach ist zweistöckig und von oben bis unten voll mit Kunstwerken aus Holz. Im Schnitt kostet eine Skulptur zwischen 100 und 200 Lita. Ich entscheide mich für eine traditionelle Faschingsmaske. Jedes Jahr zur Karnevalszeit sollen die gruseligen Masken den Winter vertreiben. Wenn ich an das Wetter in diesem Jahr denke, müssen die Masken wohl nicht gruselig genug gewesen sein. Deshalb beuge ich vor und kaufe die Hässlichste.
Trotz meines Kaufs, ist Kasys Striupa neben einem “Taip” und einem “Ne” kein Wort zu entlocken. Neben der Holzkunst haben die Samogiten auch die Kunst des beharrlichen Schweigens perfektioniert. Das ist nicht einmal böse gemeint. “Die Leute hier sind am Anfang immer etwas skeptisch”, sagt Ausra Brazdeikyte. “Wenn man sie aber einmal als Freunde gewonnen hat, dann hat man Freunde fürs Leben.” Soweit komme ich zwar nicht, aber nach ein paar verschiedenen Erklärversuchen bekomme ich doch so etwas wie ein Lächeln von Kasys Striupa geschenkt.
Der 1932 geborene ehemalige Mitarbeiter einer sowjetischen Kolchose hat nicht den Werdegang durchgemacht, den man sich von einem traditionellen Holzkünstler vorstellen würde. “Begonnen hat er mit dem Schnitzen erst, als seine Frau 1993 gestorben ist”, so Brazdeikyte. Viele Litauer haben ihre Tradition erst nach der Unabhängigkeit und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wiedergefunden. “Als Kind hatte er einen Traum, der besagte, dass er der beste und bekannteste Holzkünstler Litauens würde”, sagt Brazdeikyte. Heute ist er zumindest einer der besten. Den nationalen Preis für Holzkünstler hat er bereits einmal gewonnen. Und auch wenn der Mann schon über 80 Jahre alt ist, denkt er nicht ans Aufhören. “Ich habe keine Zeit über den Tod nachzudenken. Ich habe zu viele Pläne für die nächsten fünf Jahre”, sagt er und schnitzt weiter in seiner Werkstatt.