Eigentlich gibt es das Land nicht. Und auch wenn es das Klischee ist, was die Einhimischen ungern hören: auch mir kam ein Besuch in Transnistrien vor wie eine Zeitreise in die Sowjetunion. Noch seltsamer wird es, wenn man dort einen Tee mit dem eigenen Nachnamen entdeckt.
Ich bin etwas nervös als ich aus Chisinau, der staubigen Hauptstadt der Republik Moldau, herausfahre. Die Marschrutka, wie die Minibusse in Osteuropa genannt werden, hat ein für lokale Verhältnisse normales Ziel. Und dennoch höre ich Schauergeschichten über die Stadt Tiraspol und die Region Transnistrien, in die ich gerade reise.
Es ist ein heißer Sommertag und der Staub der Straße drückt durch die weit geöffneten Fenster des Kleinbusses. Neben mir sitzen ein paar junge Leute und viele Ältere. Damen in braunen oder grauen Röcken haben Einkäufe dabei. Manche Fahrgäste unterhalten sich auf Rumänisch, die meisten auf Russisch. Es ist kurz vor Mittag als wir nach einer knappen dreiviertel Stunde die Grenze erreichen, die eigentlich keine ist. Auf der einen Seite sitzen moldauische Polizisten auf Steinen und rauchen Zigaretten. Auf der anderen Seite gibt es eine Schranke, eine Zollstation und ein paar mäßig begeisterte Zollbeamte. Am Häuschen prangt ein rotes Wappen mit einem Ehrenkranz mit einer aufgehenden Sonne, Hammer und Sichel, einem Haufen kyrillischer Buchstaben und allen möglichen Obstsorten, die in der Gegend so wachsen.
Ich schaue derweil hastig um mich, immer noch die Schauergeschichten im Hinterkopf, als mich ein junger Mann anspricht. „Peter?“, fragt er. Ich antworte „Vova!“. Es ist mein Tor für einen schnellen Grenzübertritt. Vova habe ich zuvor über Couchsurfing angeschrieben. Er hat sich die Zeit genommen und ist mit einer Marschrutka zur Grenze gekommen um mich abzuholen. Er spricht ein paar russische Sätze mit den Zöllnern. Nach einer Minute kann ich einfach durchschlüpfen. „Registracija“, rufen die Zöllner Vova noch zu, als wir in eine Marschrutka steigen. Ich bin angekommen in Transnistrien – einem der wenigen nicht-anerkannten Staaten Europas. Ich muss keine Bestechungen zahlen, obwohl das vorher überall angekündigt wurde. Ich bin drin und niemand interessiert es.
Die Marshrutka spuckt uns nach einer knappen Viertelstunde an einer Straße im Zentrum Tiraspols aus. Die Stadt sieht aus wie jede durchschnittliche Stadt im Ostblock. Es gibt graue Plattenbauten, die Kanten der Bürgersteige sind zum Teil abgebrochen und in den Höfen zwischen den Plattenbauten aus der Chrustschow-Ära stehen Spielgeräte aus Eisen und quietschen wenn der Wind sie bewegt. Nur eines fehlt: Ich sehe keine streunenden Hunde, wie in der Ukraine oder Russland üblich. Überhaupt wirkt es ziemlich ordentlich.
Auf der Suche nach einem Hotelzimmer klappern wir die wenigen Hotels der Stadt ab. Man sei ausgebucht heißt es in einigen Häusern. Andere sind so teuer, dass ich mir als Student eine Nacht dort nicht leisten möchte. Nach langer erfolgloser Suche bietet Vova an, mich bei einem Freund unterzubringen. Yaroslav heißt er und will gerne helfen. Ich lasse mich gern überreden. Gemeinsam mit den beiden schlenkern wir durch die Stadt. Auf dem Weg erledigen wir noch die lästige Pflicht: die „Registracija“ wie der Zollbeamte noch gerufen hatte. Yaroslaw gibt seine Adresse an. Ich will am nächsten Tag wieder fahren. Die Frauen am Schalter schauen gewissenhaft die Dokumente durch und händigen sie uns in sowjetischer Geschwindigkeit wieder aus. Vor den Hotel finde ich auch ein öffentliches Telefon. Es sieht aus, wie in den Russischlehrbüchern meiner Schwester aus DDR-Zeiten.
Vova und Yaroslaw zeigen mir die Hauptstadt der kleinen Nicht-Republik. So kommen wir auch an einem Panzer vorbei. „Das ist ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Krieges“, erzählt er. Knapp 1000 Menschen starben als 1992 Moldau mit Truppen in Transnistrien einrückte. Die Transnistrier wollten nicht zu Rumänien gehören, wie damals viele Moldauer forderten. Transnistrien blieb de facto unabhängig. De jure gehört es noch zu Moldau.
Wir gehen weiter und laufen die Straße entlang, setzen uns an einen Platz in der Nähe des Dniesterufers und schauen Kindern beim Spielen zu. An der Straße des 25. Oktober mache ich Fotos von einem Kaffee mit Che Guevara-Aufschrift. Über Che Guevara fällt mir noch der Schriftzug „Eilenburg“ auf. Wie ich erst später herausfinde, hat Tiraspol eine Städtepartnerschaft mit dem sächsischen Eilenburg. Das Café wurde zu Ehren der Partnerstadt benannt. Die Partnerschaft selbst liegt aber derzeit auf Eis. Dennoch fahren Eilenburger immer wieder Hilfsgüter dorthin.
Am späten Nachmittag setzen wir uns in ein Cafe. Ich stöbere die Karte durch. Das kyrillische Alphabet habe ich zum Glück in der Moskauer Metro gelernt und mein Russisch später an den Unis verdichtet. Dennoch muss ich dreimal über „Чай Альтхаус“ lesen. „Tschaj Altchaus“. Und tatsächlich, ich bestelle und bekomme einen Premium-Tee aus Bremen, der meinen Nachnamen trägt, hier mitten in Transnistrien. Und so trinke ich eine Tasse „Althaus“.
Am Abend bringt mich Yaroslav zu seiner Mutter nach Hause. Die gute Frau tischt uns ein riesiges Abendbrot auf. Ich bin wie jedes Mal wieder überwältigt, wie gastfreundlich die Menschen in Osteuropa sind. Später treffen wir Vova und Evgenia, auch eine Couchsurferin, um zu einem 11-geschossigen Plattenbau in der Nähe von Yaroslavs Heim zu gehen. Von dort hat man einen fantastischen Blick auch wenn unten nur ein Garagenkomplex ist. Der Sonnenuntergang ist wirklich schön und ich erzähle mit den Dreien über meine Reisen. Sie wollen auch gern reisen, sagen sie. Und in der Tat – in den folgenden Jahren tauchen Bilder von allen Dreien an vielen unterschiedlichen Orten auf der Welt auf.
Reiseinfos
Anreise: Fliegen kann man nicht direkt nach Transnistrien. Es gibt Flüge nach Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau und in die ukrainische Hafenstadt Odessa. Bei der Einreise von Odessa könnte es jedoch Probleme bei der Weiterreise nach Moldau geben, da man offiziell nicht nach Moldau eingereist ist. Das lässt sich umgehen indem man erst über Umwege nach Chisinau fährt und dann von dort nach Transnistrien.
Mit der Bahn kann man bis Chisinau fahren und von dort weiter nach Transnistrien. Gleiches gilt auch für Odessa.
Von Chisinau fahren mindestens stündlich Minibusse. Von Odessa gibt es meist größere Reisebusse. Die Kosten für Zug und Bus sind jeweils sehr niedrig.
Sicherheit: Das Auswärtige Amt weist zudem darauf hin, dass in Transnistrien keine konsularische Hilfe angeboten werden kann. Also bleibt sauber und verhaltet euch respektvoll!
Geld: Es gibt die lokale Währung, den transnistrischen Rubel. Man kann aber auch überall mit Dollar und sogar Euro bezahlen. Die lokalen Banken spuckten damals nur Dollar und russiche Rubel aus. In die lokale Währung musste man am Schalter tauschen.
Übernachtung: Die Hotelkosten sind vergleichsweise hoch. Ein Hostel konnte ich leider damals nicht finden. Mittlerweile gibt es aber das Tiraspol Hostel.