Es ist gerade in der Fremde, wo man merkt, was man an seiner Heimat hat. Nicht ohne etwas Wehmut sitze ich deshalb heute hier in Lviv und schreibe deshalb. Ich war heute in meinem Coworking-Space in der Innenstadt und habe an einigen Fotos vom Wochenende in Odessa gearbeitet. Währenddessen habt ihr, meine Familie und meine Freunde heute einen freien Tag gehabt. Ihr konntet auf dem Sofa rumliegen und fernsehen, habt vielleicht einen Ausflug in die Umgebung gemacht. Nur die wenigsten waren vermutlich bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden. Dabei finde ich es nicht nur von meinem Blickwinkel aus der Ukraine schade, dass wir den Tag der Deutschen Einheit nicht wirklich feiern.

Tag der Überwindung von Mauern

Wenn mich jemand fragt, was ich am Tag der Deutschen Einheit 1990 gemacht habe, dann weiß ich es ehrlich gesagt nicht. Auch der Mauerfall spielte in meinem kleinen Heimatdorf für mich als damals Fünfjähriger kaum eine Rolle. An was ich mich aber erinnern kann, ist die erste Fahrt in den Westen. Mit unserem Trabi fuhr ich mit meiner Mutti nach Braunlage im Harz. Die Grenze gab es noch, aber es hatte niemand mehr so richtig etwas zu tun. Drüben angekommen, ist das einzige an was ich mich erinnern kann, die unglaubliche Fülle an Waren im Supermarkt. Bananen lagen im Regal, es gab Dutzende Sorten Schokolade und ich durfte mir von meinem 100 D-Mark Begrüßungsgeld einen Matchbox kaufen. Den Rest muss meine Mutti für Kleidung ausgegeben haben, jedenfalls kann ich mich auch erinnern, nicht besonders erfreut über die Verwendung meiner ersten D-Mark gewesen zu sein.
Diese lustige Episode aus meiner Kindheit erinnert mich aber im ganz kleinen daran, dass wir am Tag der Deutschen Einheit dann aber auch wieder unsere Freiheit bekommen haben. Die Freiheit von der Planwirtschaft, die Freiheit wählen zu dürfen (oder eben nicht), die Freiheit kaufen zu dürfen, die Freiheit in der Öffentlichkeit und zu Hause alles sagen zu dürfen und noch so vieles mehr.
Ich muss zugeben, dass ich den Tag des Mauerfalls zwar für symbolträchtiger halte. Leider ist dieser Tag aber auch ein Tag, an dem Deutschland aufgrund unserer Geschichte besser nicht feiern sollte. Deshalb ist der Tag der Deutschen Einheit auch ein Tag des Mauerfalls – wenn die Mauer dann auch nur symbolisch gefallen ist, so war es aber zumindest endgültig.

East Side Gallery Berlin
Am Tag der Deutschen Einheit feiern wir, dass die East Side Gallery eine Kunstausstellung ist und keine tödliche Barriere.

Tag der Demokratie

Angesichts der Bilder von der Einheitsfeier in Dresden, wo die Ewiggestrigen die Bundeskanzlerin und den Bundespräsidenten in Grund und Boden gepöbelt haben, schäme ich mich auch für mein Land. Ich schäme mich für die Menschen, die diesem Deutschland 1990 auch beigetreten sind und es heute so verachten. Ich würde mir wünschen, dass es sie nicht gäbe. Aber gerade weil sie dieses Deutschland so verachten, das ich wichtig finde, muss man den Tag der Deutschen Einheit feiern. Man muss feiern, dass solche Menschen eine Minderheit sind und zum Glück nicht das sagen haben auch wenn sie noch so laut schreien – bisher zumindest. Man muss feiern, damit es so bleibt.

Tag der Deutschen Einheit – Tag der Deutschen in Europa

Was in Deutschland bei den Feiern oft vergessen wird – mit dem Tag der Deutschen Einheit sind wir als Ostdeutsche auch in den Kreis der europäischen Familie zurückgekehrt oder überhaupt erst dazu gekommen. Mit dem Beitritt zur Bundesrepublik war auch der Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft verknüpft. Die EG war die Basis der EU. Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein großer Fan der EU bin, auch wenn ich nicht alles an ihr richtig finde. Sie ist die Basis dafür, dass wir uns heute in Europa weitestgehend frei bewegen können. Die Basis dafür, dass ich in Litauen studieren konnte, fast alle europäischen Länder ohne Visa bereisen konnte. Und sie ist die Basis dafür, dass die beteiligten Staaten ihre Konflikte miteinander nicht mehr militärisch lösen.
Der 3. Oktober ist deshalb ein Tag an dem wir auch an Europa denken können und an dem wir uns erinnern sollten, wie schnell diese Errungenschaften durch Populismus, Hass und Hetze abgeschafft werden können. Leider vergessen viele in Deutschland, dass unser Land erst geteilt wurde, nachdem ein Populist unser Land ins Verderben geführt hat und wir den verbrecherischsten Krieg des 20. Jahrhunderts begonnen haben, bei dem Deutsche Millionen ihrer Landsleute aufgrund von Religion, politischen Ansichten oder Behinderungen getötet haben, nur um das dann auf nahezu den gesamten Kontinent auszudehnen. Wir können am 3. Oktober also auch dankbar sein, überhaupt wieder ein Teil dieser europäischen Familie sein zu dürfen.

Tag der Familie und Freunde

Und deshalb verbringe ich diesen Tag damit, mit einem Freund aus Italien zu Mittag zu essen, am Nachmittag vielleicht einen Kaffee mit jemand aus einem anderen Land zu trinken und am Abend ein deutsches Bier mit meinen ukrainischen Freunden zu genießen. Ein wenig wird mir dabei meine Familie fehlen, denn die fehlt einem in der Ferne natürlich am meisten. Aber zum Glück trennt uns nur eine Grenze und ich kann jederzeit nach Deutschland fahren – anders als die Menschen, die vor 1990 aus der DDR geflüchtet sind. Auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gab es Menschen, die als sogenannte „Republikflüchtlinge“ die DDR verlassen haben. Und wenn ich sie nach ihren Motiven gefragt habe, dann hätten das auch meine sein können. Viele durften dafür ihre Familienmitglieder für Jahre nicht sehen. Die Erleichterung erfolgte erst mit dem Mauerfall und endgültig eben mit dem Tag der Deutschen Einheit. Heute ist also der Tag an dem wir feiern sollten. Weil wir es dürfen, wo wir wollen, wann wir wollen und warum wir wollen. Prost!

Posted by Peter Althaus

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One Comment

  1. Hallo Peter, ein toller Beitrag zu einem Thema, dass mich in den letzten Tagen auch stark beschäftigt hat. Es hat mich bewegt, was ich sehen und lesen musste über die Feierlichkeiten in Dresden. Ich hoffe sehr, dass der Großteil der deutschen sich darüber bewusst ist, welch großes Glück wir haben!
    Viele Grüße
    Sabine

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