Raus aus der schönen, schattigen Kühle der Villa geht es zurück in die Dominikanische Republik. So der Plan. Mein Freund Paolos hatte folgende Idee: Durch die Berge bis zur Grenze durchschlagen. Sah bei Google Maps auch nicht schlecht aus, jedenfalls war eine Straße eingezeichnet. Also hab ich mich auf die Socken gemacht, Richtung Kenscoff. Alles fing gleich ganz hervorragend an. Ich bin mit einem LKW, auf dem Trittbrett stehend mitgefahren und habe mich am Spiegel festgehalten.
Dann war es leider schnell mit der guten Straße vorbei. Vorher bin ich noch ein paar Kilometer auf LKW Ladeflächen, im klimatisierten Jeep und auf einem Busdach gefahren. Da war plötzlich nur noch Schotterpiste. Ich hatte keine Ahnung, dass sie Hunderte Kilometer andauern würde und mehrere Tage. Ich bin also ganz munter drauf los gelaufen, Richtung Jacmel, erst nach einiger Zeit in der unträglichen Hitze wurde mir klar, was die Haitianer meinen, wenn sie sagen, man könne es nicht laufen. Dann kann man es auch nicht laufen. Und ich schon gar nicht!
Die meisten Leute, die ich getroffen habe, sind entweder mit dem Wasserkanister kilometerweit gelaufen oder mit dem Motorrad gefahren. Oder geritten.
Motorschaden, Moskitos und teure Übernachtung
Nach heftigen Strapazen, viel Durst und einem Motorschaden bin ich schließlich in Jacmel, einer mittelgroßen Stadt angekommen. Es gab sogar ein Hotel, leider ohne Strom und Wasser. Da braucht man ja nach Internet gar nicht erst fragen. Dafür gab es zwar kein Moskitonetz aber ausreichend Moskitos. Aber der ganze Luxus hat ja auch nur umgerechnet 17 Euro für die Nacht gekostet. Am nächsten Tag ging es gleich Volldampf weiter, mit der Müllabfuhr.
In den Städten gibt es umgebaute Pick-ups, mit einem Sonnenschutz über der Ladefläche passen zahllose Passagiere hinein. Immer wieder bin ich mit diesen Sammeltaxen gefahren. Oft habe ich auf der hintersten Kante gestanden und mich an dem gammligen Dach festgehalten, wie alle anderen auch.
Schnell war der Asphalt wieder vorbei und es gab wieder Piste. Wie die anderen Jungs, habe ich mich auch an allem Fahrbaren festgekrallt. Dabei waren die Straßen unbeschreiblich schlecht, so dass man immer auf der Hut sein mußte, beim nächsten Schlagloch oder bei der nächsten Bodenwelle abgeworfen zu werden. Immer wieder haben sich auch Kinder hinten an den LKW geklammert, um einige Kilometer mitzufahren.
Mit dem Hubschrauber auf Arbeit
Seit langem habe ich keinen Weißen mehr gesehen. So ging es den Kindern vor Ort auch. Sie haben immer in einer Mischung aus Schaulust und Angst “blanc, blanc” gerufen. Wer weiß, welche Schauergeschichten sie vom weißen Mann hören müssen. Vielleicht so: die kommen aus einem Land, da wachsen nicht einmal Bananen, es ist so kalt, dass das Wasser als Eiswürfel vom Himmel fällt, keiner traut dort dem anderen, deshalb fährt jeder in einem eigenen Auto… Das war schon ein eigenartiges Gefühl, angestarrt zu werden. Das hatte ich lange nicht.
Ich hatte auch sonderbare Gespräche über Deutschland. Einmal musste ich einem Haitianer ausreden, dass die Deutschen alle eigene Helikopter besitzen. Dass ich mit dem Fahrrad auf Arbeit fahre, konnte er nicht verstehen (der Hubschrauber hat meine Hühner immer so aufgescheucht!). Einem anderen habe ich erzählt, dass ich aus Allemagne komme. Er hat ganz interessiert gefragt, in welchem Land das liegt. Ansonsten ging die Konversation auf Französisch mehr oder weniger reibungslos.
Endlich war ich in Bel Anse, einer größeren Siedlung, leider endete die Straße im Meer. Nein, heute kein Schiff mehr, vielleicht morgen. Oder ein Moto…
Also wieder laufen, schwitzen, weiter durchschlagen. Bel Anse, das Zentrum der Gegend liegt direkt am Meer, klingt idyllisch, ist es aber keineswegs, Kein grün, die Menschen leben in Baracken, in Hütten. Leben vom Fischfang und von der Hand in den Mund.
Elend am Karibik-Strand
Stundenlang bin ich gelaufen, zum Beispiel mit Timothee, der von der Schule nach Hause unterwegs war. Durch trostloses Land, kein Brunnen weit und breit, Kakteen, staubige Piste, kein Schatten. Timothee ist ein kluger Kerl, der Englisch kann und Montags und freitags jeweils 5 Stunden läuft, um zu Schule oder nach Hause zu kommen. Er hat mir seine Badelatschen gezeigt, unter jeder Ferse war ein Loch durch das ein 100 Guordes Schein, genauso gut, wie ein 2 Eurostück gepasst hätte. Unvorstellbar, was er auf sich nimmt, für Bildung, für die einzige Chance, die er hat, dort wegzukommen. Für ein besseres Leben.
Dann musste ich wieder allein weiter. Es folgte noch ein Motorradunfall mit einem Mann, der einfach über die Piste rannte. Er war verletzt aber es waren nur Blutergüsse und Schürfwunden. Uns ist nichts passiert, nur etwas Plastebruch am Motorrad.
Weiter, vorbei an Frauen, die Kaffee auf der Straße schälen.
Etwas geschunden habe ich dann Thiotte, ein Dorf in den Bergen, erreicht. Eine Schmarre am Schienbein vom Aufspringen auf einen Truck, staubig, bis hinter die Ohren, und vom Durchfall gezeichnet. Aber so ist Reisen in Haiti eben. Diesmal wollte ich aber nicht sparen und habe es im Prestige Hotel so richtig krachen lassen.
Die letzte Etappe ging vorbei an Flüchtlingscamps, in denen Haitianer kurz vor der Grenze zur Dominikanischen Republik leben. Sie sind aus dem Land geworfen worden, zum Teil, nachdem sie jahrelang dort gelebt haben. Traurige, wahnsinnige Schicksale, die man sich nicht vorstellen kann. Wir haben vergessen, dass es noch nicht lange her ist, als viele unserer Großeltern Flüchtlinge waren und Schlesien oder Ostpreußen verlassen mussten. Nur wurden wir besser aufgenommen als die Haitianer oder die Syrer.
Endlich Pederales, endlich die Grenze zur heilen Welt.
Zurück in der heilen Welt
Auf einmal gibt es wieder schnelle Straßen, LKWs und schnelles Vorankommen.
Da war mir ganz schnell wieder nach Trompete spielen. Nur mein Fahrer hat nichts rausgekriegt, auch wenn er aussieht wie Louis Armstrong.
Zurück in Santo Domingo ging alles ganz schnell. Ein Ticket für die Fähre nach Puerto Rico gekauft, für alles restliche Geld Wassermelonen gekauft und ein bisschen Schokolade. Und auf zu neuen Welten. My little Kreuzfahrt. Sogar mit Bändchen, wie bei der Aida. Leider mit auch genauso viel Ruß und einem schrecklichen Band.