Am morgen sah die Welt noch so einfach aus: Ich bin bei schönstem Sonnenschein am diesem 26. Januar in Tscheliabinsk gestartet. Der Weg zur Autobahn nach Osten war leicht zu finden und es hielt auch sofort ein Auto. Das alles bei minus 18 Grad. Alles perfekte Bedingungen, den Umständen entsprechend.
Doch dann lief alles ein bisschen kläglich. Immer wieder musste ich umsteigen. Der Wind wurde stärker, die Temperatur fiel. Ein langer Lift, ich bin eingeschlafen, mit schweissnassen Füßen musste ich wieder aussteigen. Ab da hatte ich Eisfüße!
Unnötiger Umweg um Kasachstan herum
Aber dann kam der Gipfel. Beim gelangweilten Lesen in der Karte ist mir, ganz kurz vor dem Desaster aufgefallen, dass die schön gerade Straße nach Osten durch Petropawl verläuft. Das liegt in Kasachstan, wofür man als Deutscher ein Visum braucht. Ich habe schon einmal eines besessen, aber das ist lange her und dafür braucht man eine Einladung. Also hieß es einen Umweg einplanen und die kasachische Grenze umfahren. Ein paar hundert Kilometer nach Norden, dann weiter nach Osten und wieder zurück zur Hauptstraße. Geschafft.
Anmerkung von Peter: Was Gregor leider bisher nicht wusste: Seit 2014 braucht man als Deutscher kein Visum mehr für Kasachstan. Bis zu 14 Tage kann man sich nun im Land ohne vorherige Anmeldung aufhalten. Er hätte sich den Umweg also sparen können. Mittlerweile hab ich ihm das auch per Mail geschrieben 🙂
Erfolg mit Butterbrot
Die letzten 500 km habe ich mit Schenja, einem muffligen russischen LKW-Fahrer verbracht. Er hat stundenlang erzählt und ist langsam aufgetaut. Im Gegenzug habe ich stundenlang zugehört, immer wieder auch etwas verstanden und erwidert. Schade, dass ich nur eine 4 in Russisch hatte. Etwas mehr Kenntnisse würden meine Reise erleichtern. Aber da sind ja zum Glück die Vokabeln, die man sowieso schon kannte und die im russischen aus dem deutschen übernommen wurden, oder war es umgekehrt? Ich kann euch sagen, man kann sie alle gebrauchen: Butterbrot, Rucksack, Kartoffel, Konzertmeister und Kurort. Anscheinend haben die paar Vokabeln geholfen, denn Schenja nennt mich seit dem zweiten Tag jetzt liebevoll Grischa und nicht mehr Grigorii.
Als Vegetarier in Russland ist man verloren
Die Ernährungssituation spitzt sich für mich langsam zu. Die russische Küche ist nicht allzu aufgeschlossen für Vegetarier. Oft wissen die Russen nicht einmal, was ein Vegetarier ist. Wir sind heute in einer Truckerkneipe eingekehrt, dort gab es genau ein Gericht: Pelmeni mit Gehacktes gefüllt. Sonst nichts. Mit Ach und Krach konnte ich trockenes Brot mit Schmand und Knoblauch organisieren.
Nun liege ich in einem warmen Bett, während Schenja, mit dem ich die Kabine auch geteilt hätte, unten im LKW und friert. Er fährt morgen weiter nach Nowosibirsk. Mal sehen, ob ich eher loskomme, als er aufwacht. Es wäre zu wünschenswert. Mit so kläglichen 800 Kilometer näher am Ziel, wie in den letzten 2 Tagen kann ich nicht weiter dahinschleichen. Schließlich sind es noch 7000 Kilometer bis nach Magadan.
Tipps für das Reisen in Sibirien
Schenja war der erste, der sich scheinbar mit den Gegebenheiten im Fernen Osten Russlands auskannte. Er gab mir ein paar gute Tipps.
- Beim Kacken im Wald aufpassen. Man kann von den Braunbдren gefressen werden.
- Neue Anziehsachen kaufen. Dort sind es schnell mal minus 45 Grad.
- Wodka mit dort hin nehmen. Den kann man super gegen Sachen eintauschen.
Mit diesen Tipps bin ich nun gut gerüstet für den Fernen Osten. Passend dazu, habe ich nun das Zentrum Sibiriens durchquert. Nachdem ich mein Hotel mit plus 26 Grad verlassen habe, bin ich wieder mit meinen vertrauten minus 25 Grad gestartet. Doch daran habe ich mich wohl gewöhnt. Inzwischen ist allerdings Wind aufgekommen. Alles sieht so gespenstisch und bitterkalt aus und genau so fühlt es sich an. Der Wind ist das Schlimmste. Der Wind ist tödlich.
Das habe ich gestern schmerzlich lernen müssen. Schenjas LKW machte plötzlich sehr unrhythmische Geräusche. Also sind wir sofort zu einem Parkplatz gefahren und haben nachgesehen. Dort hat sich am besten gezeigt, was diese Kälte bedeutet. Sie blockiert alles hier. Die sozialen Kontakte, die Bauarbeiten, alle technischen Geräte. Für die Reparatur des LKW musste also zunächst jedes Teil das bewegt werden sollte, mit einer Lötlampe erhitzt werden. Um an den Motor zu kommen, muss man das Fahrerhaus mit einer Hydraulik hochpumpen. Um das zu schaffen, muss man wiederum einige Teile mit einem Gasbrenner auf 0 Grad erhitzen. Die ganze Reparatur hat ungefähr eine Stunde gedauert und ich bin tatsächlich fast erfroren. Ich habe meine Zehen und Finger nicht mehr gespürt und die Nase hat wie Feuer gebrannt. Ich möchte mir also minus 40 Grad gar nicht erst vorstellen. Zum Glück ist Schmerz und Kälte auch ganz schnell wieder vergessen. Von mir zumindest.
Auch ich habe abgesehen von meinem beinahen Kältetod Federn lassen müssen. Bereits 2 Schnallen meines Rucksacks sind vor lauter Kälte zerbrochen. Der imperialistische, verweichlichte Kunststoff zerbricht einfach an der Kälte in Sibirien. Da sieht man am besten, dass der Westen Russland niemals besiegen wird. Außerdem beherrschten schon mehrere meiner Fahrer den Slogan des Siegens „Chrende chogch!“ Das sitzt tief. Naja, immerhin hat mich noch keiner mit der Hitlergruß begrüßt!
Pistolenscharf ins russische Fernsehen
Heute gab es zudem noch eine besondere Situation: Mein Fahrer hatte eine scharfe Pistole im Handschuhfach und hat sie mir ausgiebig gezeigt, als ich mich dafür interessiert habe. Es ist eben Russland! Was habe ich erwartet?
Doch dieser Nemek (ein Usbeke), bei dem ich diese Nacht auch übernachten werde, hat mich an der Straße aufgegabelt, das war kurz vor Nowosibirsk und wir sind den ganzen Tag zusammen gefahren. Kurz vor Krasnojarsk hat er dann noch mit seinem iPhone alle Hebel in Bewegung gesetzt und hat ein Fernsehteam an die Straße organisiert (siehe Foto oben). Dort haben wir zusammen mindestens eine Stunde eine Reportage über meine Trampaktion gedreht. Die Reporterin hat mir versprochen, mir den Beitrag zu senden.
Nun warten erstmal nur noch überaus triviale Aufgaben auf mich: Ich muss meine Hose flicken. Gut, wenn man nicht nur eine Pistole hat, sondern auch Nähzeug. Nur das Klavier nutzt wenig, denn es ist unspielbar verstimmt. Wundert mich nicht bei 30 Grad und 0 Prozent Luftfeuchtigkeit in der Wohnung.
Morgen früh werde ich wieder an der Strasse 53 stehen. Dann sind es nur noch 1200 km nach Irkutsk, meinem nächsten Ziel.
Es bleibt spannend – ich lese hier immernoch sehr gerne mit.
Hallo Gregor, auch ich lese jeden Beitrag von dir und bin schon auf weitere interesante gespannt. Aber deine Vegetarischen Vorlieben kennen wir doch schon aus unserer gemeinsamen Chor Zeit. Da hieß es auch immer „wer tauscht Fleisch gegen Gemüse und Kartoffeln“. Du weist ja wer oft mit dir getauscht hat.:-) Weiter viel Erfolg und vor allem Gesundheit auf deinem Weg. Liebe Grüße aus der Heimat Ralf
Hey Gregor,
ist ja Wahnsinn was Du alles erlebst! Wusste nicht, dass Du deutscher Trampmeister 2014 bist! Dann noch herzlichen Glückwunsch nachträglich. Pass gut auf Dich auf und genieße die große Freiheit!
Die Heizung die Du in Hennings Wohnung installiert hast läuft übrigens tip top! 😉
Alles Gute,
Peter
Guten Tag lieber Gregor
Horst und ich verfolgen deine Tour mit Spannung
Ganz schön mutig, was Du Dir da antust.
Bleib gesund und viel Glück und Erfolg auf Deinen Wegen
Bei uns auch etwas kalt und Schneegestöber gewesen – aber kein Vergleich zu den Temperaturen bei Dir
Hallo Gregor,
ganz liebe Grüße von uns. Erfrier uns ja nicht!! 😉
Wir freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen und vorher natürlich über jeden Bericht hier.
Pass auf dich auf, bis dann
via musica
hallo lieber gregor,ich habe mir gerade einen tee gemacht und geniesse die wärme meines kleinen norwegischen öfchens…trotzdem beneide ich dich,wäre am liebsten mit der kamera dabei! ich liebe deine berichte und sauge jeden einzelnen davon auf.weiter so und bleib vorallem schön gesund!wir hoffen dich dann im sommer mal wieder auf der punktum-couch zu sehen!lg ute