Ich finde die Diskussion einfach nur peinlich. Gerade habe ich wieder mal einen Artikel gelesen, auf dem grundsätzlich alle Individualreisenden über einen Kamm geschert werden. Auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung wurde mal wieder ein Rant über Backpacker abgelassen. Dabei wurden vor allem Argumente aufgebracht, die eigentlich weiterhin viel mehr auf Pauschaltouristen zutreffen. Hier mal kurz die Argumente, damit ihr euch diesen schnöden Text sparen könnt.
- Individualreisende weigern sich mehr Geld zu zahlen, obwohl sie vielmehr haben.
- Die Ökobilanz von Backpackern ist wegen der Fernreisen nicht unbedingt besser als die von Pauschaltouristen.
- Backpacker haben einige Orte, wie in Laos, komplett ruiniert und missachten auch gerne mal lokale Ethikregeln.
- Niemand würde einer chinesischen Reisegruppe sein Zuhause öffnen.
- Individualtouristen blockieren die Modernisierung.
Ich finde, dass die Mehrzahl dieser Argumente schlichtweg Blödsinn sind. Und das finde ich, trotz dessen, dass heute viele einstige Backpacker-Destinationen im Grunde zu Pauschalurlauber-Orten geworden sind.
Nicht jeder ist ein Backpacker nur weil ihn andere dafür halten
Mein Hauptkritikpunkt an der Diskussion über Backpacker und was dieser Tourismus den Einheimischen bringt, ist, dass sich die Definitionen immer weiter verwässern. Wer an einstige Backpacker-Destinationen wie Thailand denkt, der merkt schnell, dass sich hier ein Pauschaltourismus entwickelt hat, der nicht mehr viel mit Backpacken zu tun hat. Es gibt billige Flüge, wo hunderte Backpacker für wenig Geld mitfliegen. Es gibt spezielle Touristenbusse, Backpacker-Hostels, Touren (im Paket billiger) und so weiter. Das hat mit Individualtourismus nichts mehr zu tun. Nur weil Leute mit einem Rucksack reisen, sind sie noch keine Individualreisenden.
Mehr Geld zahle ich nur, wenn ich den Sinn darin sehe
Auch wird mal wieder das Argument angeführt, dass Backpacker sich davor drücken höhere Preise als Einheimische zu bezahlen. Und ja, da stehe ich dazu. Denn oft habe ich es erlebt, dass ich den zehnfachen Preis zahlen musste und der einzige Grund dafür meine Nationalität war. Das ist Nationalismus und kein Solidaritätsprinzip! Besonders dann, wenn neben mir ein Einheimischer steht, dessen Eltern (Dollar)-Millionäre sind und der T-Shirts trägt, die mehr kosten, als alles was ich an mir habe.
Hinzu kommt auch noch, dass die verlangten Gelder oft in dubiosen Kassen verschwinden und korrupte Verwaltungsbeamte davon profitieren, statt der Kassenwart der Sehenswürdigkeit. Man muss sich also ganz klar vor Augen führen, dass die vermeintlichen Solidaritätsprinzipien schlichtweg Abzocke sind.
In manchen Kulturen ist es zudem völlig normal, zu Handeln. Wenn man es nicht tut, beleidigt man sein Gegenüber schon fast. Mal davon abgesehen, gehört es vor allem auf dem Basar im Nahen Osten auch zur Reiseerfahrung dazu. Und ja, klar sollte man nicht so sehr auf jeden Cent schauen, aber das tun auch die wenigsten Reisenden – selbst ich alter Sparfuchs nicht.
Wenn ich den Menschen etwas Gutes tun möchte, will ich darüber selbst entscheiden und gebe freiwillig mehr. Oder ich spende daheim für ein Projekt in dem Land, wo ich einigermaßen Vertrauen habe, dass die Organisationen auch den Großteil weitergeben.
Backpacker achten mehr auf die Ökobilanz
Auch das Argument, dass Backpacker oft eine genauso schlechte Ökobilanz haben, wie Pauschaltouristen, finde ich in großen Teilen Blödsinn. Besonders wer sich mit Slow-Travel auseinandersetzt, wird nie gern ein Flugzeug nehmen. Fast alle mir bekannten Backpacker bevorzugen Züge, Schiffe oder Busse gegenüber dem Flugzeug. Andere gleichen ihren klimatischen Fußabdruck durch Initiativen wie Atmosfair aus. Hinzu kommt die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Tramper, wie ich, haben auf dementsprechenden Reisen eine Ökobilanz von fast Null. Insofern sind sie natürlich Pauschaltouristen über besser gestellt.
Backpacker sind Pioniere
Viele Regionen selbst wurden überhaupt erst durch Backpacker erschlossen. Wenn die Pioniere des Tourismus nicht kommen würden, würde der wirtschaftliche Wandel meist ausbleiben. Und so kann ich auch nicht verstehen, was das Problem des Autors ist. Ja, er unterstellt, dass Individualtouristen mit westlicher Arroganz nach Kuba kommen, um das Land noch zu erleben, bevor es sich modernisiere. Aber das ist doch auch völlig klar, dass dieser Effekt erzeugt wird, denn natürlich wird der Wandel nicht ausbleiben. Nur kann man das (Individual-)Touristen vorwerfen, etwas Einmaliges sehen zu wollen, bevor es verschwindet? Ich glaube das Problem ist weniger, dass sie den Kubanern keinen Fortschritt gönnen, sondern dass sie schlichtweg Befürchtungen haben, dass es durch eine Öffnung zu einer Amerikanisierung Kubas kommen wird. Dies ist mehr ein Anti-Amerikanismus, der die McDonaldisierung und Starbuckisation als den Anti-Christ sieht, statt auch die positiven Effekte, wie den von den Kubanern gewollten wirtschaftlichen Fortschritt, Wohlstand, Reise-Freiheit und eine mögliche Demokratisierung zu sehen. Insofern ist das Problem nicht die westliche Arroganz, sondern die falsch verstandene Furcht vor der Veränderung.
Authentizität ist keine Show
Backpacker suchen das Authentische, da gebe ich der Süddeutschen recht. Wenn der im Text genannte Korbflechter den Korb aber nur flechtet, weil es für die Touristen so schön ist, dann lässt das Backpacker kalt. Ich schaue mir diese Dinge nie gern an.
Jedoch gibt es viele Traditionen, auf die sich die Einheimischen gerne besinnen. In meiner Heimat, dem Mansfelder Land beispielsweise, gibt es jedes Jahr vor dem Wiesenmarkt einen Umzug von Menschen in Bergarbeiteruniformen. Keiner dieser Menschen ist noch Bergarbeiter, denn der Bergbau ist 1990 mit der Schließung der Schächte im Mansfelder Land gestorben. Dennoch sehen auch Nicht-Bergarbeiter das als Tradition an, denn der Bergbau hat die Region über Jahrhunderte geprägt (schon Martin Luthers Vater war Ende des 15. Jahrhunderts Bergmann). Und auch in Litauen, wo ich ein Jahr lang gelebt habt, ziehen die Litauer gerne ihre Trachten an und praktizieren die Volkstänze, denn sie gehören zur Kultur. Dabei interessiert nicht, ob da Touristen dabei sind oder nicht.
Nah bei den Menschen sein, heißt etwas über die Kultur lernen
Und genau darum geht es auch, wenn ich gerne couchsurfe und trampe. Ich bin nah an den Menschen. Das hat nichts mit Voyeurismus zu tun und ich bin auch keine „chinesische Reisegruppe“ und renne auch nicht durchs Schlafzimmer. Ich freue mich aber, wenn ich den Alltag meiner Gastgeber bereichern kann, mich mit ihnen austauschen kann und dabei sehe, wie normale Menschen leben und was sie in den besuchten Ländern so machen. Klar ist das oft banal. Manchmal bietet es aber auch einfach spannende Einblicke, in eine parallele Normalität. Das gilt sogar begrenz auch für Airbnb. So lerne ich oft etwas über die Kultur und es ist eben doch authentisch. Wo bitte geht das in einem 5-Sterne-Hotel, das in einem armen Land steht? Das muss mir der Autor mal noch erklären.
Exzesse sind nicht meine Schuld
Und was die Exzesse von Backpackern oder Touristen angeht, so obliegt es immer noch den Behörden, solche Exzesse zu verhindern. Das hat auch nichts mit Individualtouristen zu tun, denn ich denke, die wenigsten Backpacker fahren in fremde Länder, um sich dort zu entblößen. Weil eine Gruppe Teenager sich daneben benimmt, muss man deswegen noch nicht alle Fremden/Touristen/(bitte beliebiges Wort einsetzen) über einen Kamm scheren. Hätten die sich in Castrop-Rauxel oder in Cambridge entblößt, hätte es kein Schwein, außer der Lokalzeitung vielleicht noch, interessiert. Es gibt halt Menschen, die machen Blödsinn und dann müssen sie die Konsequenzen tragen.
Und wenn diese Teenager lokale Traditionen missachten, dann muss die Regierung des Landes dafür zu sorgen, ihnen diese und die Konsequenzen eines Fehlverhaltens vorher deutlich zu machen. Für alles andere gibt es Gerichte. Wer sich daneben benehmen will, sollte aber nicht in Diktaturen reisen!
Tut mir sehr leid, wenn ich mal wieder den Miesmacher abgeben muss. Denn ich finde, man kann den Text der Süddeutschen getrost schreddern. Denn am Ende kommt es auf jeden Reisenden selbst an. Und da lassen sich Individualreisende eben schlechter über einen Kamm scheren, als Pauschaltouristen.
Hm, ich verstehe Deinen Rant nicht. „Nur weil Leute mit einem Rucksack reisen, sind sie noch keine Individualreisenden.“ schreibst Du. Exakt, genau das sagt ja auch der Artikel. Der Autor beschreibt eben genau, warum sich Individual- und Pauschaltourismus eben nicht so einfach in zwei Kategorien einteilen lassen. Und wo sagt er denn, dass alle Individualtouristen (von Backpackern spricht er ja eher weniger) so sind? Im Gegenteil: Es MUSS eben nicht so sein.
Als einen Rant empfinde ich das überhaupt nicht, schon gar nicht gegen eine bestimmte Reisegruppe, der der Autor ja die Existenz am Anfang ohnehin abspricht (also die klare Gruppendefinition).
Zu deiner Aussage „Besonders (habe ich keine Lust mehr Geld zu zahlen), wenn neben mir ein Einheimischer steht, dessen Eltern (Dollar)-Millionäre sind und der T-Shirts trägt, die mehr kosten, als alles was ich an mir habe.“
Ähäm. *hüstl* Dir ist ja sicher bewusst, dass der Autor nicht über Dubai gesprochen hat sondern über Schwellenländer, über „Teile Afrika, Asiens und Lateinamerikas“. Wieviele Millionäre haben denn da schon neben Dir gestanden, willst Du ernsthaft behaupten, dass Du nicht mehr Geld besitzt als das Gros (!) der Einheimischen in diesen Ländern?
Der Autor hat auch mitnichten z.B. gegen jedes Handeln gesprochen, das war doch überhaupt nicht gemeint. Aber zu erwarten, Preise wie Einheimische zu bezahlen, wenn mein Einkommen 30 Mal höher ist, kann ich ebenfalls wirklich nicht nachvollziehen.
Zur Ökobilanz: Dass einige Leute immer noch diesen romantischen Blödsinn verbreiten, finde ich faszinierend. Tatsächlich wurde ich z.B. mal angemacht wegen meiner Antarktisreise und der dazugehörigen Ökobilanz, interessanterweise von einer „Backpackerin“, die regelmäßig (!) seit vielen Jahren von Deutschland nach Neuseeland fliegt. Wow. Diese verzerrte Eigen-Perspektive ist mir häufiger begegnet, die meisten Backpacker, die ich persönlich kenne, sind „Fernreisende“, und ich kenne kaum jemanden, der schonmal nach Thailand mit dem Bus gefahren ist oder mit dem Schiff – letzteres wäre ohnehin ökologisch nicht sinnvoller. Dass z.B. vor-Ort-Ausflüge mit einem Bus ökologischer sind als wenn sich jeder Backpacker ein eigenes Auto mietet (wie es viele tun, die ich kenne), dürfte auch schwierig zu negieren sein.
Wie auch immer helfen Generalisierungen hier wenig, und Du hast m.E. in Deinem Artikel hier mehr generalisiert als es der Artikel in der SZ tat – oder wolltest vielleicht Dich auch ein bisschen angegriffen fühlen? 😉 Ich habe den Artikel jedenfalls eher gegenteilig gelesen: Pauschalisierungen aufweichen statt festigen.
Grüßle
/inka
Ich finde es ist ein Rant und er ist noch dazu pauschalisierend. Beispiel: „Da finden sich wenige Stimmen, die auf die Frage, ob Gäste mehr bezahlen sollen als Einheimische, uneingeschränkt antworten: ja.“ -> Was bitte ist das denn für ein Argument? Warum sollte ich da uneingeschränkt ja schreien? Das würde sich ja dann auch auf Norwegen, Dänemark oder die USA beziehen… Da müsste ich im Umkehrschluss ja eigentlich weniger bezahlen, weil mein Jahreseinkommen nur halb so hoch ist. Was Dein Argument mit den Millionären betrifft: Da gibt es sehr wohl einige, auch in ärmeren Ländern: Fahr mal nach Russland oder Albanien, selbst in Ghana! Mir geht es auch nicht darum, dass die Einheimischen mehr bezahlen sollen, sondern, dass ich nicht mehr bezahlen will, bloß weil ich nen deutschen Pass habe.
Was das Argument mit der Trennung von Individualreisenden und Pauschaltouristen betrifft, sehe ich die Trennlinie einfach komplett woanders. Wenn Du Touren-Pakete buchst, mit Massen von anderen Menschen zusammen, bist Du kein Individualreisender mehr. Reist Du aber per Anhalter oder nimmst den ÖPNV, dann ist das was anderes. Die Trennlinie ist für mich da, wo Angebote künstlich erschaffen werden müssen, um Touristen zu unterhalten.
Zum Fehlverhalten kann ich auch nur sagen: Wenn Du Dich individuell daneben bist, dann bist Du kein Pauschal- oder Individualreisender sondern ein Idiot.
Was die Ökobilanz betrifft, gebe ich Dir grundsätzlich recht. Die ist schon deshalb schlechter, weil Individualreisende allgemein mehr reisen. Dennoch lässt sich das trotzdem nicht pauschalisieren. Gibt genug Leute, die keine Flüge nehmen. Aber ja, die Ökobilanz ist ein valides Argument. Man muss sie aber auch nicht überbewerten.
Insofern ist mein Empfinden bezüglich des Artikels scheinbar komplett anders und ja: Ich fühle mir ans Bein gepisst. Nicht weil ich mich als den Super-Backpacker sehe, sondern weil der Autor in meinen Augen falsch generalisiert. Für mich sind die Backpacker, die nach Thailand oder Laos zum Tuben fliegen und da im Hostel pennen und rumbumsen eben nicht das gleiche, wie solche, die in Albanien couchsurfen und mit dem Gastgeber kochen. Kann sein, dass ich deswegen etwas angepisst reagiere.
Herzchen gesendet!